Steil bergauf

Sorelle Bronca Colbertaldo di Vidor Venetien

 

Ursprünge der „Schaumwein-Wissenschaft“ entdecken kann. Weiter geht es nach San Pietro di Feletto, wo sich die auf das 12. Jahrhundert zurückgehende romanische Pfarrkirche über dem darunter liegenden Tal erhebt, bevor wir Richtung Refrontolo zwischen Wäldern und Weinbergen auf die Molinetto della Croda stoßen: eine kleine, hundertjährige Mühle oder treffender gesagt — ein in Gestein gefasstes Juwel. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt uns, dass wir hier trotz der Schönheit des Motivs leider nur einen kurzen Foto-Stopp einlegen können. Liegt unser eigentliches Ziel doch in Colbertaldo, noch circa 15 Auto-Minuten entfernt!

Kaum angekommen, begrüßen uns die beiden Schwestern vor ihrem Büro, das direkt an die auf alten Gemäuern aufgebaute Kellerei anschließt. Alles ist wie aus dem Ei gepellt, die Rabatten liebevoll bepflanzt. Ein Frauenhaushalt eben!

Heute erwarten uns die „Sorelle Bronca“. Sorelle, das bedeutet Schwestern. Mit vollem Namen handelt es sich dabei um Antonella und Ersiliana Bronca. Die beiden Frauen zählen zu den besten Prosecco-Produzenten der seit 2009 anerkannten DOCG-Appellation, die gerade einmal 15 Gemeinden umfasst. Ihr „Particella 68“, ein Prosecco Superiore Brut, ist einer der wenigen Prosecchi, der vom Gambero Rosso gleich mehrmals mit den begehrten 3 Gläsern ausgezeichnet wurde. Und so steil wie ihre Erfolgs­geschichte sind auch einige ihrer Weinberge.

Es ist ein herrlicher Frühsommertag und bereits ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit, als wir aus Richtung Venedig kommend auf der Strada del Prosecco in Richtung Valdobbiadene fahren. In Conegliano, der „Hauptstadt des Prosecco“, passieren wir die legendäre Scuola Enologica, in der man die

als unser Vater starb, wollten wir sein Erbe gemeinsam antreten — schließlich haben wir unsere ganze Jugend in den Weinbergen verbracht. Es war wie eine Berufung.“ Bei dem Wort muss sie schmunzeln, hielten ihre ersten Kunden sie doch für Nonnen, da es zu dieser Zeit — wir schreiben das Jahr 1988 — noch so gut wie keine Frauen im Prosecco-Geschäft gab.

Während viele Winzer der Region auf „Masse statt Klasse“ setzten, verschrieben sich die Schwestern früh der Qualität. Ihr besonderes Augenmerk galt den ertragsreduzierten Steillagen der Familie ebenso wie der Umstellung auf biologischen Weinbau. Heute keltern die beiden auf ihrem Weingut nach dem Charmat-Verfahren pro Ernte, die meist Anfang September stattfindet, rund 300.000 Flaschen. Ihre 25 Hektar Rebfläche liegen im Umkreis von 20 Kilometern auf 6 Weinberge verteilt. Zuletzt erwarben Antonella und Ersiliana die Parzelle „232“ aus dem ehemaligen Besitz der Firma Bisol: Wir freuen uns schon jetzt auf das nächste Genussprojekt der beiden Schwestern!

Der Empfang selbst ist unglaublich herzlich: fast fühlen wir uns, als wären wir gerade bei alten Freunden angekommen. Antonella, die jüngere der beiden, ist zierlich, elegant gekleidet, spricht und lacht viel, ist immer in Bewegung. Ganz die Italienerin. Ihre Schwester dagegen ist ruhig, hört zu und ergänzt. „Wir sind eine perfekte Mischung. Wie der gelungene Verschnitt unserer Cuvées!“, sagt Antonella und strahlt. Dass die Liebe zu gutem Wein sie eint, merkt man schnell, dass die beiden eigentlich nicht vom Fach sind, überhaupt nicht.

Das erzählen sie uns erst, als wir bereits im Auto sitzen. Unser „Chauffeur“ und Prosecco-Perfektionist Piero Balcon, Antonellas Mann, selbst Winzer und passionierter Önologe und seit Jahren unverzichtbarer Berater und Unterstützer des Schwesternprojekts. Gut gelaunt dreht er das Radio an, lacht, und erklärt, das sei wieder einmal ein Arbeitstag nach seinem Geschmack — ein Ausflug mit vier Frauen in den Weinberg!

„Ersiliana hatte früher ein Geschäft für Kindermode und ich einen Bürojob“, fährt Antonella fort, „aber

Genau in diesem Moment tauchen hinter der Wegbiegung die schneebedeckten Gipfel der Dolomiten auf — und obwohl das Thermometer 28 Grad anzeigt weht ein kühler Wind. Capiamo, wir verstehen!

Auf unserer Fahrt zurück ins Weingut fahren wir durch atemberaubend steile Hänge aus Dolomitschotter, in die sich Dörfer wie kleine Nester einfügen. Umgeben von dichten Kastanienwäldern, Pfirsichbäumen, wilden Feigen und — Weinbergen. Die Reben stehen auf schmalen  Terrassen und sind oft nur über Steige oder schmale Sträßchen zu erreichen. Stramme Waden, Zeit und Geduld sind nötig, will man hier Wein erzeugen.

Die Hauptrebsorte bildet — wie könnte es im Herzen der Valdobbiadene auch anders sein — Glera.

Die seit 200 Jahren im Norden Italiens beheimatete weiße Rebsorte, aus der ein Prosecco mindestens zu 85 Prozent bestehen muss, wächst bei den Schwestern hauptsächlich in Cobertaldo und Rua di Feletto, wo wir gerade ankommen. Mit einem Wink über die frisch austreibenden Weinstöcke erklärt Piero: „Auch wenn zwischenzeitlich versucht wurde, sie andernorts zu beheimaten: Nirgendwo ist ihr Aroma zarter, ihre Säure feiner, ihre Frucht knackiger als hier bei uns.“ Es seien nicht nur die Böden, sie liebe vor allem die Temperaturunterschiede, ergänzt er.

Zwischenzeitlich steht die Sonne hoch am Himmel, es ist unglaublich heiß. Am liebsten würden wir in den Pool springen, der direkt unterhalb des Weinbergs durch die Reben blitzt. Er gehört zu dem wunderschönen B&B, das von Ersiliana’s Tochter Elisa geführt wird. Zurück im Keller stößt die junge Mutter, die selbst Önologin ist und seit kurzem im Weingut mitarbeitet, zu uns. „Ihr habt sicher Hunger!“, ruft sie fröhlich und winkt uns in den Verkostungsraum. Auf dem Tisch stehen regionale Spezialitäten wie Baccalà, Asiago und Soppressa, hauseigenes Olivenöl und selbst gebackenes Brot. Und natürlich gut gekühlte Flaschen „Particella 68“ … „Nur eine Kleinigkeit“, sagt sie bescheiden. Von wegen! Am liebsten würden wir direkt ein paar Tage bleiben.

Und das gilt auch für den Hausberg der beiden Schwestern, die „Parzelle 68“, unseren nächsten Halt. Der Weinberg, aus dem ihr gleichnamiger Prosecco Superiore Brut stammt, zählt zu den steilsten der Region. „Bis zu 600 Arbeitsstunden stecken hier durchschnittlich in einem Weinberg. Das ist vier Mal so viel, wie im modern mechanisierten Weinbau“, erklärt Antonella und streicht nachdenklich über eine der Reben, die auf diesem Teil des Gutes alle bereits rund 40 Jahre alt sind. Die Bodenstruktur in diesen Lagen ist äußerst dürftig. Die Rebe muss sich ihre Nahrung in großer Tiefe geradezu erkämpfen. Dementsprechend gering sind die Hektarerträge. Dieser Besonderheit verdankt der Cru von Antonella und Ersiliana seinen facettenreichen Ausgangswein, der den Sortencharakter der Rebe herausstellt, ohne ihm seine Süffigkeit zu nehmen.