Barolo im Blut

Paolo Scavino Castiglione Falletto Piemont

 

Bereits 20 Mal durfte sich das Haus allein über die „Tre Bicchieri“ freuen, von zahlreichen weiteren Prämierungen ganz zu schweigen. Das ist selbst im erfolgsverwöhnten Piemont einzigartig. Kein Wunder also, der Name Paolo Scavino lässt das Herz aller Barolo-Afficionados höher schlagen!

So spektakulär seine Weine, so bescheiden gibt sich das Weingut von außen. Inmitten des kleinen Dorfes Castiglione Falletto, unweit des Kult-Örtchens Barolo, liegt es versteckt zwischen gepflegten Wohnhäusern im typisch piemontesischen Stil. Unsere heutigen Gastgeber sind Enrica und Elisa Scavino, die das Weingut zusammen in vierter Generation führen.

Unumstritten eine Ikone des Piemontesischen Weinbaus und einer der Wegbereiter des heutigen Barolo-Prestiges: Enrico Scavino. Der Sohn des Gründers und Namensgebers Paolo Scavino, der das Weingut 1921 zusammen mit seinem Vater Lorenzo gegründet hat, gilt in Kennerkreisen als einer der größten Barolista überhaupt.

Aus sage und schreibe 20 historischen Cru-Bestlagen in 7(!) von insgesamt nur 11 zugelassenen Barolo-Gemeinden keltert er zusammen mit seinen Töchtern Enrica und Elisa, die seit kurzem die Leitung des Musterbetriebes übernommen haben, Spitzenweine kompromissloser Präzision und großer Eleganz: Von Dolcetto bis Barolo.

Für die Vergärung werden „State of the Art“ Stahl-Rotationstanks eingesetzt, die eine sehr schonende Verarbeitung der Frucht und viel Schalenkontakt erlauben. Die gesamte Mazerations- und Vergär­zeit, übrigens ausschließlich mit natürlichen Hefen, bewegt sich gerade einmal zwischen 15 und 18 Tagen. Anschließend gehen zumindest alle Barolo­weine für ein Jahr ins Barrique — davon 25 % neues Holz, der Rest bis zu fünf Jahren alt — bevor sie im großen Holzfass ihren Feinschliff erhalten.

„Bereits im Alter von 10 Jahren hat mein Papa Enrico angefangen, Vollzeit im Weinberg zu arbeiten“, beginnt Enrica mit Blick auf die glänzenden Stahltanks und zahlreichen Fässer die Erfolgs­geschichte ihres Vaters zu erzählen. „Das hat es der Familie damals um einiges leichter gemacht. Bei anderen sind die Söhne weggezogen und zu großen Firmen wie Fiat und Ferrero gegangen.“

Enrica, die ältere der beiden, öffnet uns die Tür. Ich schätze sie auf Mitte vierzig. Sie trägt Jeans und Blazer, wirkt unglaublich aufgeschlossen und energiegeladen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Elisa, die vor kurzem ihr Weinbaustudium in Turin abgeschlossen hat und viel im Weinberg ist, kümmert sich die gelernte Kauffrau im Wesentlichen um die internationale Vermarktung und den Verkauf der Weine.

Gemeinsam betreten wir den Innenhof des Anwesens — und schnell wird klar: Das Weingut ist deutlich größer als erwartet. Es ist gewissermaßen in den Weinberg hineingebaut. Den Eingang des 1996 vollständig modernisierten Kellers ziert eine in den Boden eingelassene Steinplatte mit dem klassisch gehaltenen Firmenlogo — eine Hommage an Nonno Paolo, dessen Name dort zusammen mit dem Gründungsjahr (1921) zu lesen ist.

Von authentischem Charakter und ohne Avancen an den internationalen Weingeschmack — wenn auch die modern ausgebauten Baroli dem ein oder anderen Bordeaux-Fan schmecken dürften! Kein Wunder, der Name Paolo Scavino lässt das Herz aller Barolo-Afficionados höher schlagen!

Diese beeindruckende Erfolgsgeschichte ist maßgeblich der Verdienst von Enrico Scavino. Die gefeierter Barolo-Legende blickt auf fünf bewegte Jahrzehnte zurück: Barolo ist heute weltbekannt und international so gefragt wie nie zuvor. Spitzenbetriebe sind häufig ausverkauft — aber das war nicht immer so. „Noch in den 70er-Jahren wurde bei einer Bestellung von zehn Kisten Dolcetto oft noch eine Kiste Barolo kostenlos hinzugegeben“, erklärt Enrica. Diese Tage undenkbar, insbesondere da die Gesamtproduktion des seit 1980 DOCG geschützten „Königsweins“ bei nicht einmal 15 Mio. Flaschen pro Jahr liegt.

In diesem Moment stößt Elisa zu uns. Freudig berichtet sie, dass sie gerade dabei sind, ihren Keller zu vergrößern. Sie bräuchten dringend mehr Platz, um ihre Jahrgangstiefe weiter ausbauen zu können. „Opa und Papa, die mussten ihre Lesen ja noch vollständig verkaufen, um die notwendigen Investitionen schnellstmöglich refinanzieren zu können“, erzählt sie und fährt respektvoll fort: „Wir haben es da heute etwas leichter und können zum Glück einige Flaschen jedes Jahrgangs einbehalten und so unsere Châteauvertikale nach und nach ausbauen.“ Ein Vorhaben, das alle Barolo-Liebhaber in Entzücken versetzt — da sind wir sicher.

Denn: Bei Paolo Scavino entstehen im traditionellen Piemont aus den drei autochthonen Rebsorten Dolcetto, Barbera und Nebbiolo große Weine: sehr elegant, von äußerster Reinheit und mit ungemein harmonisch eingebundenen Tanninen.

weisen. „Die einzelnen Lagen sind so unterschiedlich, das ist beinahe unglaublich!“, begeistert sich Elisa. „Weine aus La Morra und Barolo beispielsweise sind früher zugänglich, die aus Serralunga und Monforte bleiben in der Regel in ihrer Jugend total verschlossen. Und dabei liegen zwischen den einzelnen Lagen nur wenige Autominuten und Höhenmeter!“, fügt sie anschaulich hinzu.

Diese territoriale Vielfalt Jahr für Jahr charakteristisch herauszuarbeiten ist das Kunstwert, das bei Paolo Scavino immer wieder aufs Neue in Perfektion gelingt — mit minimalen Eingriffen in der Weinbereitung. Ganz große Winzerkunst, die in den beiden Parade-Baroli Bric dël Fiasc (aus Castiglione Falletto) und Rocche dell’Annunziata (aus La Morra) gipfelt. Freilich nur in sehr guten Jahren und unter strenger Angabe der jeweiligen Lagenbezeichnung abgefüllt. Denn Kompromisse geht die Familie Scavino auch hier keine eine.

Zu diesem Wandel kam es dank der „Barolo-Boys“, einer Gruppe junger Winzer, die Mitte der 80er einen moderneren, weicheren Barolo präsentierten. Unter ihnen auch Enrico Scavino. Damals glühender Verfechter kürzerer Maischestandzeiten und neuer Barriques, setzt der Barolo-Meister heute auf die bestmögliche Pflege der Reben und schonende Bewirtschaftung der Weinberge. Seit Jahren lebt er konsequente Ertragsreduktion — sei es durch eine lockere Pflanzdichte (gerade einmal 3.700 Rebstöcke sind es in Monvigliero pro Hektar!) oder grüne Ernte. Die Qualität der Früchte hat für ihn absolute Priorität. Exzellente Grundlage hierfür sind die über ein Jahrhundert lang gesicherten, insgesamt 30 Hektar umfassenden „Filetstücke“ der Kellerei — wie zum Beispiel Castiglione Falletto, Barolo, La Morra, Novello, Serralunga, Verduno und Roddi.

Selbst im erfolgsverwöhnten Piemont ist das eine Liga für sich. Kein anderes Weingut kann eine so hohe Diversität an ausgesuchten Einzellagen auf-