Alles im Fluss

Ermacora Ipplis Friaul

 

Auf der anderen Seite des Waldstücks, weit oben im Weinberg, stehen wir und schauen in Richtung Natisone und Forelle. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bergen. Wir befinden uns im Weinbaugebiet der DOC-Region Colli Orientali del Friuli. Die Berge, das sind die mächtigen Alpen Österreichs, in ein paar Kilometern beginnt das Staatsgebiet Sloweniens. Das Licht färbt sich langsam violett, die Alpen verschwinden im dunklen Dunst. Vor uns liegt die Landschaft des Friauls, einem Teppich gleich, zu unseren Füßen ausgebreitet. An manchen Stellen wirft der bunte Flickenteppich aus Dörfern, Feldern und Wäldern einzelne Falten — das sind die typischen Weinhügel der Gegend. Unser Weinhügel heißt Montsclapade, von hier stammen die Trauben, aus denen einige Weißweine der Familie Ermacora gemacht sind. „Riecht ihr diesen ‚profumo speciale‘, diesen ganz speziellen Geruch?“, fragt Luciano. Tatsächlich wabert über den Rebenreihen hier oben ein feiner Duft nach frischen Kräutern und feuchter Erde, nach Frühlingsregen und sprießenden Blüten. „È la terra“, sagt Luciano. Das ist die Erde hier.

Wäre man eine Forelle, dann würde man wohl gerne den Natisone hinunterschwimmen. Der 55 Kilometer lange Fluss entspringt an der italienisch-slowenischen Grenze, um dann an so wunderschönen friulanischen Städtchen wie Cividale oder Manzano gemächlich entlang zu mäandern. Vom Flussbett aus hat die Forelle einen umwerfenden Blick auf weiße Kiesstrände, steile Klippen und dunkelgrüne Wälder. Ab und an taucht sie zum Zeitvertreib unter einer alten römischen Brücke hindurch. Und stößt sie in der Gegend um Ipplis durch die Wasseroberfläche, dann blickt sie durch ein kleines Waldstück auf die Reben von Dario und Luciano Ermacora.

Im Weinberg sehen wir die Sonne untergehen. Zwischen den Reben wachsen Pusteblumen, Zypressen überragen die Weinberge. Vor allem für seine Weißweine ist Ermacora bekannt: Einheimische Rebsorten wie Friulano oder Ribolla gialla, aber auch internationale Gewächse wie Pinot Bianco oder Chardonnay gedeihen in den Colli prächtig. Im Durchschnitt sind die Reben zwanzig Jahre alt. Heiße Tage wechseln sich hier mit kühlen Nächten ab, im Hintergrund die Alpen, das Mittelmeer ist nahe.

Kontinentales trifft auf mediterranes Klima. „Und dazwischen unsere Weine und wir“, sagt Luciano und beendet den Satz zum wiederholten Male mit dem Wörtchen „capito?“. Ihr habt also verstanden? Er zweifelt wohl weniger daran, dass wir seine Worte verstehen, viel eher ist es ihm wichtig, seinen Ausführungen Nachdruck zu verleihen.

Luciano Ermacora ist ein großer und stattlicher Mann, er ist Mitte sechzig, wirkt aber jünger. Trotz eleganter brauner Wildlederjacke sieht man ihm an, dass er sein Leben lang in den Weinbergen gearbeitet hat. Das Weingut Ermacora wurde von seinem Großvater Antonio gegründet — am Anfang war der Weinbau nur eines von vielen Standbeinen der Familie Ermacora. Mit den Jahren ließ man die Viehwirtschaft und den Getreideanbau hinter sich und verschrieb sich voll und ganz dem Weinbau. Denn „im Leben kann man nur eine Sache zur Perfektion bringen“, davon ist Luciano überzeugt. Ermacora, das sind heute die Brüder Luciano und Dario und ihre Kinder. Während sich Luciano um die Weinberge und die „cantina“, den Weinkeller, kümmert, zeichnet Dario für den Vertrieb der Weine verantwortlich. Aktuell bewirtschaften die Brüder Ermacora 47 Hektar Rebfläche, verteilt in den Colli Orientali del Friuli.

Und während das letzte Tageslicht schwindet, genießen wir die Weißweine von Ermacora. Durch ihr überwältigendes Bukett, ihre gute Mineralität und das ausgezeichnete Preis-Genuss-Verhältnis beeindrucken sie Kenner auf der ganzen Welt. Für unsere kleine Degustation hat Luciano regionale Salumi-Spezialitäten und friulanischen Käse unter dem Gebälk der Kellerei aufgetischt. „Am besten aber schmecken unsere Weißweine zur „trotta“ aus dem Fluss Natisone“, sagt Luciano. Die „trotte“, die Forellen, könne man gleich hinter dem Weinberg angeln. Wäre man eine Forelle im Fluss Natisone, so sollte man den Blick auf die Weinberge von Ermacora also nicht allzu ausgiebig genießen.

Das eigentliche Weingut Ermacora liegt inmitten eigener Reben, nahe des Örtchens Ipplis. Ein weiß getünchter Bauernhof mit einer 300 Jahre alten Geschichte und roten Fensterläden und eine moderne Kellerei aus Backstein, das ist die Cantina. Als wir in der Dämmerung ankommen, springt uns ein rotbraunes Hündchen mit spitzen Ohren bellend entgegen. Luciano nimmt es liebevoll auf den Arm. „Das ist Charlina“, stellt Luciano uns stolz das kleinste Familienmitglied der Ermacora vor. Die Familien von Luciano und Dario, der Hund Charlina, sie alle wohnen auf dem Hof. Die Verbundenheit zu Familie und „terra“ zeigt sich auch in der Etikettgestaltung der Weine: Gesäumt von aufwendigen Goldapplikationen auf Naturpapier erscheinen die Buchstaben „D“ und „L“, Dario und Luciano, verziert mit Traubenbündel und Rebenblätter in einer stilisierten Vase. Das Rücketikett schmückt ein goldener Brunnen. Genau an diesem biegt man in der Ortschaft Ipplis ab, um das Gut von Ermacora zu erreichen.