Hart am Wind

Castello Colle Massari Cinigiano Toskana

 

Vom blauen Himmel brennt die Sonne, kühl ist es trotzdem. Die junge Zypresse ist nicht allein — gemeinsam mit ihren Genossen säumt sie die Auffahrt zum Castello Colle Massari, das sich in rotbraunen Tönen weithin sichtbar in der Landschaft um Cinigiano erhebt. Vom Tor des Castello bietet sich dem Besucher nicht nur ein beeindruckender Blick auf die toskanische Idylle, sondern auch auf ein weißes, modernes Bauwerk auf dem benachbarten Hügel. Gleich daneben erhebt sich auf einem weiteren Berg eine schneckenförmig geduckte, braune und ebenfalls moderne Anlage.

Das Castello Colle Massari gibt es gleich zweimal — als geschichtsträchtiges Schloss aus dem 13. Jahrhundert und als moderne Kellerei auf dem Hügel gegenüber. Eines haben beide Bauwerke  gemein: Über sie fegt derselbe Wind.

Die noch junge Zypresse an der Auffahrt zum Castello wird durch ein hölzernes Dreibein gestützt. Der Wind zerrt stark an den dunkelgrün bewachsenen Zweigen; die Zypresse schwankt, aber sie trotzt den bewegten Lüften. Hier oben zwischen dem Monte Amiata im Hinterland und der tyrrhenischen Küste zu unseren Füßen steht die Luft selten still. So auch heute.

Seit 2006 gehört das Bolgheri-Weingut Grattamacco zu Colle Massari, 2011 kam aus dem Montalcino das Weingut Poggio di Sotto dazu. Neben vielen Preisen und Auszeichnungen, die die Weine von Colle Massari aus der Appellation Montecucco in den letzten Jahren erhielten, ging 2014 die Auszeichnung „Kellerei des Jahres“ des Gambero Rosso an das Weingut. Umgeben von 110 Hektar Rebfläche in bester Lage entstehen bei Colle Massari unter anderem der „Poggio Lombrone“ aus der einheimischen Sangiovese-Traube. Nicht zuletzt dank des Windes, der die Insekten vertreibt, sind alle Gewächse des Gutes Bio-Weine.

Unser Rundgang beginnt im modernen Verwaltungsgebäude. Wie ein strahlend weißer Wachturm überblickt es die Weinberge, die an die Kellerei heranreichen. Zu unseren Füßen erreichen die Trauben die Kellerei — eine solide Mauer schützt die Arbeiter vor dem starken Wind. „Die Trauben würden an besonders windigen Tagen sonst Flügel bekommen“, lacht Emanuele.

Über alle fegt derselbe Wind — sie sind Teil der Kellerei Colle Massari. Und mit dem Wind kennt sich die italienisch-schweizerische Familie Bertarelli, der das Weingut gehört, bestens aus. Erfolgreich in der Biotechnologie, galt die Passion der Bertarelli immer schon dem Segelsport. Im Jahr 2003 gewann Ernesto Bertarellis Yacht Alinghi als erstes europäisches Schiff überhaupt den renommierten America’s Cup. Und mit demselben Esprit, derselben Akribie und Erfolgsversessenheit widmet sich Familie Bertarelli auch dem Weinbau in der Toskana.

Im Eingangsbereich der modernen Kellerei Colle Massari begrüßt denn auch ein Modell des Segelschiffes Alinghi den Besucher. „Le piace vincere“, lacht Emanuele Gasto, verantwortlich für den Export der Weine, und zeigt auf das Modell. „Es gefällt ihnen einfach zu gewinnen.“ Denn „gewonnen“ hat Familie Bertarelli auch mit dem Weingut Colle Massari, das sie 1998 kaufte und seitdem sukzessive erweiterte.

Eine weitere Ebene darunter erwartet uns der imposante Barriquekeller. Obwohl tief im Berg, ist auch hier der Wind, der die Bertarelli antreibt, zu spüren. Die Decke des großen, rechteckigen Raumes ist mit Planken aus libanesischem Zedernholz beschlagen. In eleganten Wellen bewegen sie sich über unseren Köpfen, branden gegen Wände und laufen an Fensteröffnungen, die in den rohen Fels hineingeschlagen wurden, sanft aus. „Legno navale“, sagt Emmanuele, „Holz für den Schiffsbau“. Bei der Zeder handelt es sich um das Holz, das auch für den Bau der Alinghi verwendet wird. Und das sieht nicht nur edel aus, sondern ist auch noch nützlich: Die Decke, unter der die Weine in den Tonneaux und Barriques zur Größe reifen, hält dank eines natürlichen Abwehrstoffes im Holz die Insekten fern. Das Konzept „non solo funzionale ma anche bello“, nicht nur funktional, sondern auch schön, zeigt sich an weiteren Einzelheiten.

Gleich daneben liegen die Verkostungsräume von Colle Massari. Mit Blick auf die toskanischen Hügel, auf die Arbeiter, die die Trauben sorgsam von Hand ernten, lassen sich hier die Weine verkosten, schwenkbare hölzerne Lamellen schützen die großen Glasflächen vor Wind und Sonne. Unter unseren Füßen, tief im toskanischen Hügel, liegt auf mehreren Ebenen verteilt die eigentliche Kellerei. Wir folgen dem Weg der Trauben, ducken uns vor dem Wind und tauchen ab.

Eine halbe Million Flaschen entstehen unter Tage pro Jahr. Funktion und Design gehen hier Hand in Hand. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen: So sind die silber-metallischen Handläufer am Geländer der Brücke über die stählernen Vinifikations-Tanks nicht nur formschöne Stützen, sondern sie transportieren auch das Kohlendioxid aus den Tanks.

terrakottafarbenem Beton, im Jahr 2015 fertiggestellt, finden um die 300 Gäste Platz. Im Inneren wartet der „Luogo di Culto“, die Kultstätte, wie Emanuele es nennt, mit einem der akustisch anspruchsvollsten Konzertsäle Europas auf. Und sollte es wider Erwarten einmal windstill sein, kann man im benachbarten Castello Colle Massari die Noten aus dem „Teatro“ leise vernehmen. Denn hier im alten Schloss wohnt Familie Bertarelli, wenn sie in der Toskana weilt. Ihr Weg nach Hause führt sie dann auch an der noch jungen Zypresse vorbei, die ihren schlanken Stamm stolz in den Wind reckt. Ganz so wie es der Mast der Alinghi in den Weiten des Atlantik tut.

Der Steinfußboden ist im Fischgrätmuster gelegt, die Fenster im Gestein sind nicht nur gut für die konstante Luftfeuchtigkeit, sondern wirken als den Raum erweiternde Elemente. Selbst die „sputtachiera“, das Spuckgefäß für die Weinprobe, zeigt sich formvollendet. Direkt aus dem Felsen tröpfelt Wasser in ein steinernes Bassin, stilvoll indirekt beleuchtet, transportiert es Wein und Wasser außer Sichtweite.

Zurück im Tageslicht, einen Hügel weiter. Hier liegt das schneckenförmige und leicht geduckte Gebäude, das schon vom Castello gegenüber bestaunt wurde. Im Theater „Forum Fondazione Bertarelli“, einem architektonischen Kleinod aus