Meisterliches Perlenspiel
Barone Pizzini Provaglio d’Iseo Lombardei
Mann, dem es langweilig wird! Und dennoch begrüßt er uns — nur wenige Autominuten vom Borgo Santa Giulia entfernt — Punkt 9 Uhr persönlich in der modernen Eingangshalle des heutigen Weinguts, das seit 2007 Büroräume und Keller beherbergt.
Der bio-architektonisch gestaltete Bau aus Naturstein thront, umringt von Weinbergen, skulptural auf einem Hügel. Sein Architekt, Claudio Gasparotti, ebenfalls Teilhaber von Barone Pizzini, hätte die Lage nicht besser wählen können: Im Norden glitzert, umgeben von mächtigen Zweitausendern, der pittoreske Iseosee, dessen Einfluss die Region ihr gemäßigtes, für die Spitzengewächse so wichtiges Klima verdankt. Im Süden reichen die endlos wirkenden Rebzeilen bis Erbusco.
Kein Wunder, dass sich hier jährlich bis zu 4.000 Gäste wohlfühlen — so wie wir jetzt!
Vorhang auf, Bühne frei! Aus dem Fenster des Borgo Santa Giulia, dem ehemaligen Firmensitz von Barone Pizzini und heutigem Boutique-Hotel, genießen wir den Blick auf die prachtvolle Kulisse der Franciacorta, deren fruchtbare Moränenhügel sich südlich des Iseosees in einem weiten Bogen bis Brescia hinziehen. Gleich einem natürlichen Amphitheater — wie geschaffen für den Auftritt großer Weine. Und das sind sie, die prickelnden Protagonisten von Barone Pizzini! Bereits 1870 von der gleichnamigen Adelsfamilie gegründet, ist das Weingut heute zugleich eine der ältesten Kellereien und erster Bio-Pionier der Franciacorta.
Gespannt auf das feinperlige Schau(m)spiel ihrer Bollicine fiebern wir unserem heutigen Besuch der Kellerei und dem Treffen mit Silvano Brescianini entgegen. Zugleich Winzer, Geschäftsführer, Teilhaber — und Seele — von Barone Pizzini ist der gelernte Küchenchef und Sommelier auch noch Vize-Präsident des erst 1990 gegründeten Konsortiums Franciacorta. Also kein
„Es war kein einfacher Weg“, erinnert er sich. „Wir waren ja die ersten, die ihre Weinberge hier umgestellt haben.“ Heute sind das immerhin 50 Hektar Rebfläche, verteilt auf 29 Parzellen in vier Gemeinden. Die Hauptrebsorte bildet mit über 70 Prozent Chardonnay. Einige Weinberge sind zudem mit Pinot Nero und Pinot Bianco bestockt — je nach Lage und Beschaffenheit der Anbauflächen.
„Und dann die Anforderungen an den Keller und die Infrastruktur!“ Er lacht wieder. „Zum Glück waren wir gerade ohnehin dabei, neu zu bauen. Da konnten wir vieles gleich von Anfang an richtig machen“, erklärt er. Und meint damit, dass fast zwei Drittel des Gebäudes, rund 5.600 Quadratmeter, unterirdisch liegen. Nur so konnten die hochgesteckten Ziele wie ein geringer Energieverbrauch, eine eigene Solaranlage sowie ein natürliches Raumklima umgesetzt werden.
Silvanos Händedruck ist kräftig. Er ist außergewöhnlich groß. Wie seine Vision: Erstklassige Franciacorta-Weine in Bio-Qualität herzustellen. Als Sohn eines Winzers in der Franciacorta aufgewachsen, kennt — und liebt — er die Region und ihre Weine wie kaum ein anderer. „Kalk, Gips und Lehm — das sind unsere geheimen Zutaten. Um die Böden hier zu erhalten, müssen wir vorausdenken und unsere Weinberge umsichtig bewirtschaften“, erklärt der Mann, der sonst immer ein Lächeln zeigt, ungewohnt ernst. Und er hat seinen Worten Taten folgen lassen: Seit Silvano in den 90er-Jahren zu Barone Pizzini kam, hat er seine Vision Stück für Stück realisiert. Mit unglaublichem Erfolg, bezeugt durch Auszeichnungen wie den „Best Organic Wine in the World“ oder den Sonderpreis für nachhaltigen Weinanbau des Gambero Rosso.
Silvano klatscht in die Hände, seine Augen leuchten: „Warum glaubt ihr, dass ich all diese anderen Arbeiten mache? Das ist doch die Kür!“ Er lacht und blickt gleichzeitig auf die Uhr. Für uns das Zeichen, schnell die Fotoausrüstung einzupacken und ihm weiter zu folgen — ahnen wir doch, dass es nun ins eigentliche Herzstück des „metodo classico“, die „barricaia“ geht. Hier, 12 Meter unter der Erde, erwecken Hefe und Zucker die schlafenden Meister zum Leben — das große Schau(m)spiel beginnt! Passenderweise unter den Blicken von Mozart, dessen Porträt an seine Zeit als Gastmusiker im Palazzo Pizzini erinnert.
Und auch für uns wird es Zeit, wieder aufzusteigen. Leider. Wir hätten Silvanos Ausführungen noch ewig weiter zuhören können — merkt man doch, dass er ebenso eng mit der Geschichte von Barone Pizzini wie mit der Franciacorta verbunden ist.
„Aber schaut selbst!“, ruft er. Und so folgen wir ihm den hell erleuchteten Treppenabgang, dessen Wände große Schwarz-Weiß-Drucke zieren, fünf Meter hinab in die „cantina“, wo das Qualitätskonzept von Barone Pizzini — im Weinberg durch die strenge Handauslese charakterisiert — konsequent fortgeführt wird. Die Trauben werden direkt nach ihrer Ankunft sanft gepresst und anschließend sechs Monate lang in modernen Edelstahltanks vergoren. Dabei werden die verschiedenen Lagen streng voneinander getrennt vinifiziert. Nur so lassen sich die Unterschiede von Boden und Klima später auch im Franciacorta-Wein erschmecken. Bis zu 80 unterschiedliche Grundweine entstehen auf diese Art und Weise bei einer Ernte! Und wir ziehen den Hut vor dem feinsinnigen Gaumen, der aus diesen Geschmacksnuancen die finalen Cuvées bestimmt.
Eines, das typischer für Italien nicht sein könnte, und weist auf eine Bleistiftskizze. Wir schauen uns überrascht an — ohne Zweifel, das ist das „cavallino rampante“ von Ferrari! Und tatsächlich: Einer Familienüberlieferung nach stammt das tänzelnde Pferd ursprünglich aus der Feder von Baron Edoardo Pizzini Piomarta. Im Ersten Weltkrieg Kommandant der Pinerolo-Kavallerie-Schule, soll er damit einen Brief an seinen Freund Francesco Baracca unterzeichnet haben. Der erfolgreiche italienische Jagdflieger malte seinen Lieblingshengst daraufhin kurzerhand als Glücksbringer auf sein Flugzeug, von wo aus es später von Ferrari zu seinen Ehren aufgegriffen wurde. Sagt man … Na dann: „Cin-Cin!“
Aber eine Anekdote hat er doch noch für uns: „Natürlich nur bei einem Glas ,Naturae‘ “, fügt er augenzwinkernd hinzu und weist in Richtung des Verkostungsraums. Wer würde da schon nein sagen?! Während Silvano einschenkt, ganz der Gentleman, bestaunen wir die zahlreichen historischen Bildnisse, Urkunden und Gerätschaften, die uns umgeben: Zeugen der langen Unternehmensgeschichte der Marke „Pizzini“, deren Weine bis heute das Wappen ihrer Gründerväter tragen, einen Adler.
Und so überrascht Silvano mit einem letzten Paukenschlag: Die Familie habe noch ein weiteres Logo geprägt, verkündet er.