Der Schweineflüsterer

Falorni Greve in Chianti Toskana

 

Hier ist Italien am schönsten, sagen viele: Greve in Chianti, ein Bilderbuchdörfchen inmitten der toskanischen Hügel. Am historischen Dorfplatz, gleich hinter dem Denkmal für den wohl berühmtesten Sohn der Stadt, Giovanni da Verrazzano, den Entdecker der New York Bay, befindet sich die — bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebte — nicht weniger historische Metzgerei Falorni.

Bereits in achter Generation, seit 1729, entstehen hier traditionelle toskanische Wurst- und Schinkenwaren. „Unser Qualitätskonzept: ‚Dal’allevamento fino alla tavola‘, von der Aufzucht bis auf den Tisch“, erläutert Lorenzo Bencistà, während wir vor seinem Geschäft stehen. Lorenzo und sein Bruder Stefano führen die Geschäfte von Falorni gemeinsam. „Jeder von uns macht ein bisschen von allem“, sagt Lorenzo und Stefano nickt zustimmend. Unterschiedlicher könnten zwei Brüder kaum sein: Lorenzo, der seine Ausführungen gestenreich untermalt, und der etwas größere Stefano, der in seiner weißen Metzger-Schürze ruhig daneben steht und aufmerksam lauscht. Die neunte Generation steht schon in den Startlöchern: Die Kinder von Lorenzo und Stefano arbeiten auf verschiedenen Positionen im elterlichen Betrieb. Wir lernen Caterina kennen, Stefanos Tochter. Sie kümmert sich um die Kommunikation — und hat, wie alle bei Falorni, ihr Büro direkt über der Metzgerei. Dort, wo früher nicht nur die Familie wohnte, sondern auch die Salumi-Spezialitäten reiften.

 „Oink, Oink, Oink“ ruft Stefano Bencistà mit kräftiger Stimme in Richtung Waldrand. Und wenig später noch lauter: „Oink, Oink, Oink!“ — gefolgt von einem energischen Schütteln der Futterbox in seiner Hand. Eine kurze trügerische Ruhe breitet sich über den toskanischen Hügeln aus, bevor uns urplötzlich ein „Oink“ entgegenschallt. Wenig später tauchen sie am Waldrand auf und stürmen begeistert auf uns zu: Die traditionellen toskanischen Cinta Senese-Schweine mit dem charakteristischen schwarzen Streifen an der Flanke. Stefano lächelt zufrieden. Er hat sie gerufen, und sie sind ihm gefolgt.

Bis vor ein paar Jahren befand sich die Produktion gleich neben dem historischen Ladenlokal. Mit dem wachsenden Erfolg verlegte Falorni seine Salumi-Herstellung in eine moderne Produktionsstätte am Ortsrand von Greve in Chianti. Doch die traditionelle Arbeitsweise blieb dieselbe. Noch heute werden die Salami von Hand verschnürt und reifen ausschließlich im Naturdarm. Auch die Rezepte haben sich über die Jahrhunderte hinweg nur geringfügig verändert. So haben die kleinen Edelschimmelkulturen großen Anteil an der außergewöhnlichen Qualität der Wurstspezialitäten von Falorni: Hier in den Reiferäumen sorgen sorgsam ausgewählte Kulturen dafür, dass die Salami von Falorni ihren unverwechselbaren Geschmack entwickelt. Und dann wäre da noch die Sache mit den Schweinen. Das Fleisch für die Spezialitäten stammt ausschließlich aus der Toskana — von Bauern, mit denen Falorni schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Und für die ganz besonderen Spezialitäten, wie die Salame Cinta Senese, verwendet Falorni Fleisch von eigenen Schweinen.

Zusammen mit Stefano betreten wir den Laden. Er zieht sich unter einem Bogengang mit mehreren Schaufensterscheiben und Ladeneingängen über einige mehr als eintausend Jahre alte Häuser hinweg. In dem historischen Ladenlokal ist es eng — denn hier präsentieren die Bencistà ihre toskanischen Wurstspezialitäten. Sie hängen von der Decke, liegen in langen und kurzen Theken und sind in antiken Schränken verstaut. Über allem liegt ein appettitanregender, süßlicher Schinken- und Salamiduft. „Wir machen alle unsere Produkte selbst“, sagt Caterina, „so können wir gleichbleibende Qualität garantieren. Dabei hilft uns natürlich das Wissen aus acht Generationen“. Lorenzo fügt hinzu: „Aktuell verkaufen wir in unserem Laden ungefähr zweitausend verschiedene Spezialitäten.“ Und um die Bedeutung des Geschäfts für die Familie zu unterstreichen: „Übrigens machen wir vierzig Prozent des ganzen Falorni-Umsatzes hier in diesem Ladenlokal.“ Erstaunlich viel für ein Metzgerei-Unternehmen, dessen traditionelle Spezialitäten in ganz Italien und in Deutschland zu finden sind — und ein weiterer Beleg dafür, dass Familientradition und lokale Verankerung trotz internationaler Nachfrage für die Brüder Bencistà wichtig sind.

Über einen holprigen Feldweg erreichen wir den Bauernhof „San Piero“.  Der Hof liegt erhöht auf einem Hügel und überblickt Weinberge, Wiesen und Wälder. Hier züchtet Falorni alte toskanische Schweinerassen, neben dem „Cinta Senese“-Schwein zum Beispiel auch das „Maiale Grigio“, das graue Schwein. Die Schweine durchstreifen ein 30 Hektar großes Waldgebiet und nähern sich dem Bauernhof nur zu den Futterzeiten. Während es inzwischen den einen oder anderen Züchter in der Toskana gibt, der ebenfalls das „Cinta Senese“-Schwein züchtet, ist Falorni die einzige Familie, die auch das urtoskanische „Maiale Grigio“ wiederentdeckt hat. Und so ist der erste Schritt auf dem Weg zur typisch toskanischen Salami-Spezialität bei Falorni häufig ein kräftiges „Oink“, das Stefano Bencistà dem Waldrand entgegenschleudert.