Eine Klasse für sich

Castello Di Neive Neive Piemont

 

Castello di Neive — das ist fast schon „Weinkulturerbe“. Seine trutzigen über 200 Jahre alten Mauern stehen gleich einem Fels in der Brandung inmitten der kleinen Gemeinde Neive in der Provinz Cuneo. Das mittelalterliche Dorf ist umgeben von zahlreichen Weinbergen, Olivenhaine und Haselnuss-Plantagen. Ein herrliches Landschaftsbild und sicherlich auch Grund dafür, dass sich Giulia Falletti di Barolo, die Marchesa von Barolo, das Castello einst als Wohn- und Regierungssitz auserkoren hat. In ihrem Auftrag stellt der berühmte französische Weinbau-Wissenschaftler Louis Oudart im Keller des Schlosses 1862 den ersten trocken ausgebauten Barbaresco her — und gewinnt damit auf einer englischen Weinshow direkt eine Goldmedaille!

Hinter historischen Mauern aus dem 18. Jahr­hundert sprüht modernster Innovationsgeist. Und zwar in Person von Inhaber und Schirmherr Italo Stupino, seines Zeichens Barbaresco-Top-Winzer und Vater des modernen Arneis. In 4. Generation leitet er das Weingut nun bereits zusammen mit seinen Geschwistern. Über die Jahre, vielmehr Jahrzehnte hinweg, hat es die Ausnahme-Kellerei geschafft, sich rund um Neive einzigartige Bestlagen zu sichern. Wie zum Beispiel den Prestigeträger „Santo Stefano“, erstmals 1742 in einer Landkarte verzeichnet und Namensgeber der mit den begehrten „Tre Bicchieri“ prämierten Barbaresco-Riserva des Hauses. Mehr als genug Gründe, den Altmeister heute einmal in seinem Schloss zu besuchen!

Heute dient das alte Gewölbe hauptsächlich der Lagerung, sprich ist die Schatzkammer, in der die roten Juwelen zu ihrer vollen Aromen­vielfalt heranreifen — im Allier-Barrique ebenso wie in den traditionellen großen Holzfässern.

Zunächst fahren wir in die Weinberge des seit 1964 im Besitz der Familie befindlichen Anwesens. Bestockt sind die 27 Hektar Rebfläche, darunter historische Cru-Bestlagen wie der legendäre „Santo Stefano“ (bereits 1742 kartographiert), Marcorino oder Basarin, mit den Rotweinsorten Nebbiolo, Barbera, Dolcetto, Albarossa und Pinot Nero. Ein dementsprechend hohes Alter haben einige der Reben — und holen tief verwurzelt das Beste aus den kalkhaltigen Mergelböden der Region hervor. Beim Weißwein liegt der Fokus auf Arneis.

Italo Stupino — studierter Ingenieurwissenschaftler — erwartet uns zusammen mit seinem technisch-önologischen Direktor Claudio Roggero bereits vor der „casetta“, dem Verkostungsraum des Schlosses. Mit einer Dynamik, die den rührigen Spitzen-Unternehmer auszeichnet, winkt er uns zu. Erst 2012 hat er die gesamte Weinproduktion komplett modernisiert und in eine neue, eigens hierfür errichtete Cantina etwas unterhalb von Neive ausgelagert. „Alles auf dem neuesten Stand der Technik“, wie er stolz berichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt sind alle Weine des Hauses tatsächlich noch in dem Keller entstanden, in dem bereits Louis Oudart gewirkt hat — beinahe unglaublich! Zumal die Wein­galerie des Hauses neben Barbaresco und Arneis auch noch Riesling, Dolcetto und Barbera umfasst.

Und noch mit einer weiteren Universität arbeitet Italo zusammen: mit der renommierten Lehranstalt in Piacenza. Diese betreut die zentrale Wetterstation des Weinguts, mit deren Hilfe die in den Weinbergen aufgezeichneten Daten nach strengen statistischen Methoden erhoben werden. Diese moderne Herangehensweise an den Weinberg ist neben den ausgezeichneten Lagen, alten Rebstöcken und der gezielten Ertragsreduktion ein wichtiges Qualitätsmerkmal des Vorzeigebetriebes — und spiegelt sich auch im neuen Keller wider.

Hier funkeln neue Stahltanks, die Temperaturkontrolle blinkt und das ganze Team ist sichtlich stolz auf die moderne Flotations- und Kellertechnik. „Die meisten Männer meines Alters investieren in teures Golf-Equipment,“ sagt Italo lachend, „aber ich kaufe lieber neue Maschinen.“

Einer Traube, mit der die Erfolgsgeschichte von Castello di Neive eng verbunden ist:

1978 begründet Italo — um seiner Frau einen Weißwein aus eigener Produktion anbieten zu können — die Zusammenarbeit mit der Universität in Turin, die bis heute fortgesetzt wird. In nur 5 Jahren züchtet er mit den Professoren Italo Eynard und Annibali Gandini auf einem Versuchsweinberg mit 1.000 Pflanzen aus 20 ausgewählten Klonen drei Klonstecklinge besonders hoher Qualität und mit natürlicher Resistenz gegen Rebkrankheiten: CN15, CN19 und CN32. Diese bilden heute zusammen die absolute Mehrheit des gesamten Arneis-Anbaus der Langhe, der seit damals auf immerhin 1.000 Hektar angewachsen ist — und seit 1994 DOC-Schutz genießt. Kein Wunder also, dass Italo in Fachkreisen als einer der Gründerväter des säurearmen Weißweins bezeichnet wird und Freunde und Kenner ihn huldvoll als „Arneis-Papst“ betiteln.

Und zwar in Bestlagen — die Italo auf Grund ihrer Sonneneinstrahlung oder Drainage für den Weinanbau als ungeeignet befand. Auch dies ein weiterer Beleg für seinen hohen Qualitätsanspruch sowie seine sprühende Experimentierfreude und Innovationskraft. Nur konsequent also, dass er auch bei der Entwicklung der optimalen Röstkurve für seine „nocciole“ detailverliebt mitgetüftelt hat. Mit großem Erfolg: Neben den ausgezeichneten Weinen stehen in der „casetta“ nun auch edle Flaschen mit herrlich saftigen, aromatischen Nusskernen zum Verkauf. „Buonissimo“!

Zurück im Schloss erwartet uns — sozusagen als krönender Abschluss — noch ein weiteres Highlight, das den Puls eines jeden Barbaresco-Liebhabers beschleunigen dürfte: Italo erlaubt uns einen Blick auf seine „50 shades of Barbaresco“ — alle von ihm seit den 70ern vinifizierten Barbaresco-Weine. Eine Jahrgangstiefe, die ihresgleichen sucht! Ebenso einzigartig, versteckt unter einer dünnen Sedimentschicht: ein Arneis aus dem Jahre 1982 — dem ersten Jahrgang des neu ins Leben gerufenen piemontesischem Weißen.

Typisch Piemont, das sind auch die Haselnüsse der Sorte Tonda Gentile delle Langhe, die bei Castello di Neive auf 21 Hektar Anbaufläche gedeihen.