Adel verpflichtet

Villa Russiz Capriva del Friuli Friaul

 

Vor der Villa begrüßt uns Giordano Figheli. Giordano, ein großer, kräftiger Mann Anfang sechzig, mit einer Bariton-Stimme und akkurat nach hinten gekämmten Haaren, ist in der Kellerei Villa Russiz verantwortlich für die Weinberge und das Ackerland. Gemeinsam mit Önologe Giovanni Genio ist er der Schöpfer der Weine von Villa Russiz. „Quarantatre vendemmie“, dreiundvierzig Weinjahrgänge, hat er schon „auf dem Buckel“, sagt er zur Begrüßung. Und im Schatten der arabisch anmutenden weißen Zinnen über dem hölzernen Eingangsportal der Villa im „Stile Windsor“ merkt man sofort, dass es ihm sichtlich Spass macht, die Geschichte des Grafen, seiner Gattin und des Weinguts zu erzählen.

Hundert Hektar Land umfasst das Gut früher wie heute — und Graf Theodor erkannte als gelernter Agrarwirt schnell, welches Potenzial für guten Wein im Boden schlummert. Als Franzose konnte er sich zwar mit den einheimischen Rebsorten Friulano oder Ribolla anfreunden, vermisste aber dennoch die Rebsorten der Heimat.

Es muss ein rauschendes Fest gewesen sein, als sich Graf Theodor de La Tour und seine Verlobte Elvine Freiin Ritter von Záhony, am 15. Februar 1868 das Ja-Wort gaben. Und nicht nur die wunderschöne Braut dürfte in die Augen des Grafen ein Leuchten gezaubert haben, sondern auch die Mitgift von Elvines Vater: das Gut Villa Russiz im Friaul.

Auch mehr als 150 Jahre später erstrahlt die Villa bei unserer Ankunft in edlem Weiß. Inmitten der grünen Weinbaulandschaft des Collio, in der Nähe des Örtchens Capriva del Friuli, erwartet uns das Landgut auf einem der typischen friulanischen Hügel thronend. Villa Russiz, das ist heute nicht nur das klassizistisch anmutende Castello selbst, sondern auch die „azienda agricola“ und die „cantina“, Bauernhof und Kellerei, gleich nebenan. Auch zum Gut gehörend: die „casa di famiglia“, das Wohnhaus, ebenfalls bekannt als „casa filantropica“, ein Haus, das dem „guten Zweck“ gewidmet ist, sowie ein Kinderheim. Doch dazu später mehr. 

Ein backsteinernes rotes Mausoleum auf dem nahe gelegenen Hügel sollte die beiden Eheleute, selbst kinderlos, nach ihrem Tode aufnehmen — durch Irrungen und Wirrungen der Geschichte liegen die beiden nicht im Friaul, sondern einträchtig nebeneinander in einem Grab in Österreich; das Mausoleum, das das Anwesen überblickt, steht leer. Und doch ist die Liebe der Elvine hier auch heute noch präsent, verfügte sie doch in ihrem Testament, dass die Villa Russiz einem wohltätigen Zweck dienen müsse. Und waren schon zu ihren Lebzeiten die ersten Waisenkinder in die „casa di famiglia“ eingezogen, so waren es nach ihrem Tod die Kriegswaisen des zweiten Weltkriegs, die das Anwesen belebten. Heute gehört Villa Russiz dem italienischen Staat und ist als Stiftung organisiert: Neben der Kellerei dient das Anwesen noch immer dem von Elvine verfügten Zweck. Heute leben auf dem Gelände der Villa sieben Kinder zwischen drei und fünfzehn Jahren aus dem Friaul und zehn Flüchtlingskinder aus Afghanistan. Vereinfacht gesagt: Wird das Jugendamt der Gegend tätig, so kommen die sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen hier unter. Bis vor ein paar Jahren residierten die Kinder noch in der „casa famiglia“, heute wohnen sie in einem modernen Gebäude gleich nebenan.

Auch war er davon überzeugt, dass Sauvignon oder Pinot Bianco hier im Friaul optimale Voraussetzungen vorfinden würden. Dumm nur, dass die Einfuhr dieser Rebsorten Mitte des 19. Jahrhunderts bei Strafe verboten war. Doch so leicht ließ sich der Graf nicht abschrecken. Im Stiefel oder in Blumensträußen versteckt, begann er, junge Reben, zuerst der Sorte Sauvignon, aus der Heimat ins Friaul zu schmuggeln. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte: Heute ist das Friaul vor allem für seine Weißweine aus den ursprünglich französischen Rebsorten international bekannt. Und das ist Graf Theodor de La Tour zu verdanken. Seit 1889 wird in der zum Castello gehörenden gelb gestrichenen Cantina nun Wein gekeltert. Direkt hinter dem Castello ließ Theodor einen Park anlegen — nicht nur, um darin flanierend dem Müßiggang zu frönen, sondern auch, um Korkeichen zu pflanzen — die wiederum den Kork für die Flaschen der Cantina lieferten.

Doch was wäre die schönste Weingeschichte ohne einen großen Schluck „amore“. Und in der Geschichte der Villa Russiz geht es nicht nur um die Liebe der beiden Eheleute Theodor und Elvine zueinander, sondern auch um die Liebe der Elvine zu den Kindern der Region.

nicht nur für den Sauvignon, sondern auch für den Pinot Bianco, den Pinot Grigio, den Chardonnay. Geerntet wird von Hand, der Guts-Bauernhof liefert den Russiz-eigenen Dung für die Weinberge. Die Lagen, die sich auf 43 Hektar summieren, sind nicht nur durch Oliven- und Kirschbäume getrennt, sondern auch durch wilde Waldflächen. „Wir könnten die Wälder abholzen und neue Weinberge pflanzen“, sagt Giordano, „tatsächlich aber sind genau diese Wälder wichtig für die Gesundheit der Reben. Wusstet ihr, dass die meisten Regenwürmer im Weinberg in den Reihen nahe des Waldes leben? Hier also ist der Boden besonders gut.“ Man müsse nur zuhören, dann wisse man, was die Reben brauchen. Denn: „La vite parla sempre“, die Rebe spricht mit mir, lacht Giordano, bevor er uns in seinem klapprigen Mercedes Sprinter mit zurück zum Gut nimmt.

Im historischen Keller der Villa, der „cantina storica“ von 1889, werden die Trauben schließlich zu mineralischen Weißweinen mit feiner Fruchtnote. In 380 Barrique- und Holzfässern unter weißen Steinbögen reifen Merlot und Cabernet Sauvignon zu großen Roten. Wären diese Weine schon auf der Hochzeit des Grafen de La Tour und seiner Elvine ausgeschenkt worden, die Feier hätte wohl kein Ende gefunden.

Und deshalb arbeiten auf dem Weingut eben nicht nur Önologen und Kellermeister, sondern auch Erzieher und Psychologen. Das ist wohl einmalig in der Welt des Weinbaus. Für Giordano macht genau diese besondere Konstellation „la magia del posto“ aus, die Magie des Ortes. Seine Augen leuchten, wenn er davon erzählt, wie es ist, sich nicht nur um die Erziehung von Rebstöcken zu kümmern, sondern auch um die der Kinder. Es sei „qualcosa che ti prende“, etwas, das dich ergreift.

Zuzugreifen weiß er aber auch im Weinberg. Vom Mausoleum über dem Castello bietet sich uns ein Rundumblick auf das Anwesen und die Einzellagen. Tatsächlich ist der Weinberg, der direkt am Mausoleum endet, derjenige, welcher mit den ersten von Graf Theodor illegal eingeführten Sauvignon-Reben bestockt wurde. Und genau diesen einzigartigen Geschmack der Originalrebe haben Giordano und seine Vorgänger bis heute erhalten. So schmeckt der Sauvignon von Villa Russiz im Gegensatz zu den anderen Sauvignons der Gegend ein wenig anders, er hat einen „gusto di una volta“, den Geschmack von früher. Ein wenig mehr nach „pesca bianca“, nach weißem Pfirsich, sagt Giordano. Die Nuancen der ersten Weinreben hat man bei Villa Russiz vom Ursprungsweinberg auf die anderen Lagen übertragen — und das gilt